China und Deutschland
50 Jahre gegenseitiger Respekt und Win-win-Kooperation Exklusiv
von Shi Mingde
Shi Mingde ist Pr?sident der Gesellschaft für die chinesisch-deutsche Freundschaft (CGFA) und ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland.
Dieses Jahr ist ein ganz besonderes Jahr für die chinesisch-deutschen Beziehungen: Die Regierung der Volksrepublik China und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland haben am 11. Oktober 1972 beschlossen, diplomatische Beziehungen auf Botschafterebene aufzunehmen. Auch für mich pers?nlich ist dies ein ganz besonderes Jahr. Seit 50 Jahren bin ich nun schon in Chinas Au?enministerium t?tig und habe somit die Entwicklung und den Wandel der deutsch-chinesischen Beziehungen im letzten halben Jahrhundert pers?nlich miterleben und mitgestalten k?nnen. In den letzten 50 Jahren hat die Welt viele H?hen und Tiefen erlebt - das Ende des Kalten Krieges, den Zusammenbruch der Sowjetunion und die dramatischen Ver?nderungen in Osteuropa. China hat bemerkenswerte Erfolge bei seiner Reform und ?ffnung erzielt und ist mittlerweile zur zweitgr??ten Volkswirtschaft der Welt geworden. Deutschland seinerseits hat seine Teilung überwunden und eine nationale Einheit erreicht. Bis heute bleibt es das wirtschaftsst?rkste Land in Europa.
Auch die chinesisch-deutschen Beziehungen haben sich trotz einiger Windungen im Wesentlichen mit einer schnellen, anhaltenden und stabilen Dynamik entwickelt und sind im Vergleich zu den Beziehungen mit anderen europ?ischen L?ndern führend. Das wichtigste Merkmal der umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen China und Deutschland ist, dass sie pragmatisch, umfassend, tiefgreifend und fest verankert ist.
In den vergangenen 50 Jahren haben die beiden L?nder ihr gegenseitiges politisches Vertrauen vertieft und ihre Staats- und Regierungschefs haben sich regelm??ig und h?ufig gegenseitig besucht. Insbesondere seit Beginn des neuen Jahrhunderts befinden sich die chinesisch-deutschen Beziehungen auf der ?überholspur“ und in einer Phase der ?Beschleunigung“ der umfassenden Entwicklung. So konnten sie in den folgenden Jahren erfolgreich einen ?Dreisprung“ in Folge vollziehen: Im Jahr 2004 kündigten beide Seiten im Rahmen der strategischen Partnerschaft China-EU zun?chst den Aufbau einer ?Partnerschaft in globaler Verantwortung“ sowie die Einrichtung eines Mechanismus zu allj?hrlichem Treffen der Regierungschefs beider L?nder an. Im Jahr 2010 beschlossen die beiden L?nder die umfassende F?rderung der strategischen Partnerschaft und vereinbarten zu diesem Zweck die Einrichtung regelm??iger Regierungskonsultationen. Im Jahr 2014 haben die beiden L?nder dann schlie?lich eine umfassende strategische Partnerschaft beschlossen.
Bereits im Jahr 2011 hatten die beiden L?nder regelm??ige Regierungskonsultationen eingerichtet. Dabei handelt es sich um den Konsultationsmechanismus auf h?chster Ebene zwischen China und den westlichen L?ndern. Dieser hat kontinuierlich Beitr?ge dazu geleistet, die praktische Zusammenarbeit zu vertiefen, die bilateralen Verh?ltnisse strategisch zu gestalten und den Fahrplan für deren Entwicklung aufzustellen. Die H?ufigkeit, mit denen sich die chinesischen und deutschen Staats- und Regierungschefs gegenseitig besuchten, war lange Zeit eine Seltenheit in den Beziehungen Chinas zu westlichen L?ndern. Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben die Staats- und Regierungschefs der beiden L?nder weiterhin stets einen engen Kontakt und Austausch gepflegt.
Die umfassende Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland hat w?hrenddessen sowohl in Bezug auf die Breite als auch auf die Tiefe ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit zwischen den beiden L?ndern zeichnet sich dadurch aus, dass sie komplement?r und besonders fruchtbar ist. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen China und Deutschland betrug bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1972 weniger als 300 Millionen US-Dollar. Heute ist es auf rund 235,1 Milliarden US-Dollar angewachsen. Damit macht es etwa ein Drittel des gesamten chinesischen Handels mit der Europ?ischen Union (EU) aus. Das durchschnittliche t?gliche Handelsvolumen zwischen den beiden L?ndern an einem einzigen Tag entspricht heute dem Volumen von mehr als zwei Jahren zu Beginn der diplomatischen Beziehungen. Au?erdem ist China nun schon seit sechs Jahren in Folge Deutschlands weltweit gr??ter Handelspartner. Auf der anderen Seite ist Deutschland innerhalb der EU das Land, das am meisten in China investiert und am meisten Technologietransfers t?tigt. In den letzten Jahren haben sich die chinesisch-deutschen Investitionen von einer ?Einbahnstra?e“ in eine ?Zweibahnstra?e“ verwandelt, wobei auch die chinesischen Investitionen in Deutschland erheblich gestiegen sind. Es gibt heutzutage mehr als 6.000 deutsche Unternehmen in China, w?hrend gleichzeitig mehr als 3.000 chinesische Unternehmen in Deutschland t?tig sind. Diese rasche Entwicklung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und der technologischen Kooperationen zwischen Deutschland und China hat beiden L?ndern und ihren Bürgern spürbare Vorteile gebracht.
Wie die chinesische Weisheit besagt, ist die Verbundenheit zwischen den Menschen der Schlüssel zu der Freundschaft zwischen den L?ndern. Im Rahmen des Deutsch-Chinesischen Dialogmechanismus für den gesellschaftlich-kulturellen Austausch pflegen mehr als 500 Hochschulen und Forschungsinstitute eine enge Zusammenarbeit. Mit mehr als 50.000 Studierenden bilden Chinesen inzwischen die gr??te Gruppe ausl?ndischer Studierender in Deutschland. Mehr als 300 Grund- und weiterführende Schulen in Deutschland bieten mittlerweile Chinesisch-Kurse an, und in ganz Deutschland sind 19 Konfuzius-Institute aktiv. Die Zahl der Partnerschaften zwischen den Provinzen und Bundesl?ndern bzw. St?dten der beiden L?nder steht derzeit bei 103. Vor der Pandemie gab es insgesamt mehr als zwei Millionen Touristen, die entweder von Deutschland nach China kommen oder umgekehrt. Jede Woche gab es mehr als 100 Flüge in beide Richtungen. Dieser Kultur-, Bildungs- und Personenaustausch zwischen den beiden L?ndern hat erheblich dazu beigetragen, das gegenseitige Verst?ndnis und die Freundschaft zwischen den Menschen beider L?nder zu st?rken.
Auf der globalen Bühne arbeiten die Volksrepublik und die Bundesrepublik auch in Bezug auf die Wahrung des internationalen Friedens eng zusammen und stimmen sich miteinander ab. Beide L?nder setzen sich für Multilateralismus und gegen Unilateralismus ein, befürworten Freihandel und lehnen Handelsprotektionismus ab und treten für Globalisierung und internationale Zusammenarbeit anstelle von Blockpolitik und spaltenden Abkopplungsversuchen ein. Beide sind unter anderem Fürsprecher für friedliche politische L?sungen für internationale und regionale Streitigkeiten und sprechen sich nachdrücklich für Klimaschutz und Kohlenstoffneutralit?t aus. Auch in Bereichen wie der globalen Governance haben China und Deutschland vergleichbare Vorstellungen und Ziele und sind engagierte Akteure.
Die Tatsache, dass die chinesisch-deutschen Beziehungen das heutige Niveau erreicht haben, ist untrennbar mit dem gegenseitigen politischen Respekt und Vertrauen, der wirtschaftlichen Komplementarit?t und der Win-win-Kooperation zwischen den beiden L?ndern verbunden. Es ist überdies auch das Ergebnis der langj?hrigen Bemühungen der führenden Politiker und zahlloser einsichtiger Menschen in beiden L?ndern.
Heute, 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, sehen wir vor dem Hintergrund der immer komplexer werdenden internationalen Lage, dass die Beziehungen zwischen den beiden L?ndern zwar einerseits vor neuen Entwicklungschancen, aber gleichzeitig auch vor neuen Herausforderungen stehen. Unter dem dreifachen Einfluss der Spannungen zwischen China und den USA, der COVID-19-Pandemie und der Ukraine-Krise durchl?uft Deutschland gerade eine ?Zeitenwende“ in seiner Innen- und Au?enpolitik.
Im Dezember letzten Jahres wurde die erste Bundesregierung aus einer Drei-Parteien-Koalition in der deutschen Geschichte gebildet. Diese neue sog. Ampel-Koalition hat zum Ausdruck gebracht, dass sie den Beziehungen zu China weiterhin gro?e Bedeutung beimisst, die geopolitischen, sicherheitspolitischen und ideologischen Faktoren sowie der Einfluss der USA haben aber in ihren überlegungen zur deutschen Chinapolitik eindeutig zugenommen. Die neue Regierung wolle die Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalit?t gestalten. Zudem soll aktuell noch eine neue China-Strategie erarbeitet werden. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie und vor allem seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise gibt es ein gro?es Defizit und Missverst?ndnis in der deutschen Wahrnehmung von China. Zu den Fragen, wie es mit den chinesisch-deutschen Beziehungen und mit der deutschen China-Politik weiter geht, findet in Deutschland gerade eine neue Debatte statt. Der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen bietet auch einen guten Anlass für beide Seiten, um zurückzublicken, nach vorne zu schauen und auf dem in der Vergangenheit Erreichten aufzubauen.
Was die künftigen Aussichten für die chinesisch-deutschen bzw. chinesisch-europ?ischen Beziehungen und die Zusammenarbeit angeht, so sind wir fest entschlossen und zuversichtlich. Gleichzeitig schenken wir aber auch den neuen Ver?nderungen, Problemen und Herausforderungen gro?e Aufmerksamkeit.
Im Mai dieses Jahres betonte Pr?sident Xi Jinping bei einem Videogespr?ch mit Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die chinesisch-deutschen Beziehungen in den letzten 50 Jahren ein hohes Niveau aufrechterhalten h?tten und beide Seiten durch die kontinuierliche Vertiefung der praktischen Zusammenarbeit eine gemeinsame Entwicklung und viele Win-win-Erfolge erzielt h?tten. Der Schlüsselfaktor dafür sei insbesondere gewesen, dass man am gegenseitigen Respekt und einer gemeinnützigen Zusammenarbeit festgehalten habe. Diese wertvolle Erfahrung und zugleich ein wichtiges Prinzip für internationale Beziehungen müsste auch in der Zukunft konsequent befolgt werden. Chinas ursprüngliche Absicht, die chinesisch-deutschen Beziehungen weiter auszubauen, habe sich nie ge?ndert. Genauso würden auch Chinas aufrichtiger Wunsch, die Zusammenarbeit mit der deutschen Seite zu verst?rken, und das Vertrauen in die bilaterale Zusammenarbeit, um noch mehr bedeutsame Ereignisse zu erreichen, unver?ndert bleiben.
Die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit ist keine Einbahnstra?e, sondern dient stattdessen immer den Vorteilen beider Seiten. Aktuell ist es am wichtigsten, den allgemeinen Kurs der Entwicklung der bilateralen Beziehungen gut zu steuern, das gegenseitige politische Vertrauen zu st?rken und den Konsens zu erweitern. Es gilt dabei, die Kerninteressen des jeweils anderen zu respektieren, w?hrend Missverst?ndnisse und Konflikte abgebaut werden. Neben der Aufrechterhaltung der bestehenden Kooperationen sollten beide Seiten auch neue Highlights und Plattformen für die Zusammenarbeit in den zukunftsorientierten Bereichen wie Umweltschutz, künstliche Intelligenz (KI), neue Energien, digitale Wirtschaft und grüne Wirtschaft schaffen. Nur auf diese Weise k?nnen die Gewinne, die sich aus der Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten ergeben, kontinuierlich gesteigert werden. Die Aufrechterhaltung bzw. der Ausbau der freundschaftlichen und kooperativen Beziehungen zwischen Deutschland und China wird nicht nur allein unseren beiden L?ndern und Menschenzugutekommen, sondern auch dazu dienen, gemeinsam mehr positive Energie für den Frieden, die Stabilit?t und die Entwicklung in dieser turbulenten Welt zu erzeugen.
* Der Autor Shi Mingde ist Pr?sident der Gesellschaft für die chinesisch-deutsche Freundschaft (CGFA) und ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.